«Wird dir die Türe zugeschlagen, gehst du zum Fenster rein»

Auch dieses Jahr findet in Bern der Ostmarsch statt. Eine breite Trägerschaft ruft unter dem Motto «Ins Leben investieren statt von Zerstörung profitieren! – Entmilitarisierung weltweit» zur Demonstration am Ostermontag auf. Wie sieht es aus mit der Militarisierung der Welt? Stefan Dietiker sprach mit Hans Ulrich John Gerber vom Forum für Friedenserziehung.

Wieso ist es gerade heute wichtig, für die Entmilitarisierung der Welt auf die Strasse zu gehen?

Militarisierung ist auch heute noch ein enormes Problem. Die Militärausgaben sind weltweit zwischen 2000 und 2009 um 50 Prozent gestiegen. Die USA wird 2011 ihre Militärausgaben abermals um 6 Prozent erhöhen, während die Sozialausgaben ihren tiefsten Punkt seit der Eisenhower-Ära erreicht haben. Wir müssen auf die Strasse gehen und sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Wir wollen nicht, dass unsere Länder an der Aufrüstung der Welt mitverdienen. Es ist auch ein Ausdruck der Solidarität mit den Leuten in Ägypten, Libyen, Bahrain und anderen Orten, wenn wir am Ostermarsch auf die Strasse gehen.

Was für ein Zusammenhang besteht zwischen den Militärausgaben hier und den Ereignissen in den arabischen Ländern?

Es sind ja unsere Länder, die sagen, dass Freiheit und Demokratie in der Welt gefördert werden müssen. Gleichzeitig untergaben wir diese Bestrebungen aber mit den Rüstungsgütern, die wir produzieren und an diese Regimes verkaufen. Wir finanzieren unsere Arbeitsplätze mit der Zerstörung im Süden. Bis jetzt konnten wir das noch von uns fernhalten, aber irgendwann schliesst sich der Kreis. Der Zusammenhang zwischen den Militärausgaben und der Armut weltweit ist vielen Menschen nicht bewusst. Man weiss, dass man mit einem Fünftel der weltweiten Militärausgaben die Millenniumsziele der UNO erfüllen könnte. Die Armut hängt eben auch von den Budgetprioritäten eines Landes und der internationalen Gemeinschaft ab.

Was heisst das für ein Land, wenn das Geld für die Gesellschaft fehlt?

In vielen Ländern besteht eine Disproportion zwischen Militärausgaben und Sozialausgaben. Gerechtfertigt wird dies mit der Stabilität. Rüstungsausgaben werden für die sogenannte Sicherheit und Stabilität eingesetzt, aber das ist eine Stabilität, die effektiv die Bildung einer Zivilgesellschaft behindert.

Welche Sicherheit braucht eine zivile Gesellschaft?

Eine zivile Gesellschaft hat nur eine Überlebenschance: möglichst wenig Waffen. Die Gesell schaft – weltweit gesehen – wird ja nicht von irgendeinem Ort bedroht, die grösste Bedrohung geht von ihr selber aus. In einer demokratisierten und zivilen Gesellschaft, in der Mitspracherechte und Gleichheit gelten, können Waffen nicht mehr funktionieren. Ungerechtigkeiten können nie durch Waffen aufgehoben werden. Sie werden höchstens durch Waffen vergrössert.

Was sind deine Forderungen am Ostermarsch?

Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden. In den Köpfen der Menschen, in der Politik und in der Wirtschaft. Das können wir durch zwei Schritte erreichen: Erstens sollen sich die Menschen über diese Missverhältnisse und Zusammenhänge informieren. Die zweite Forderung ist, sie sollen sich organisieren. So können wir Druck ausüben auf die Politik und unsere Regierung, die dann handeln muss. Es braucht Leute, die lärmen, die sich unbequem und unbeliebt machen, damit es in das Bewusstsein gelangt. Es ist wichtig zu verstehen, dass auch die Schweiz eine Rolle spielt in der Militarisierung der Welt.

Das ist aber ein langer Prozess?

Der Mythos des Militärs hält sich solange, wie man ihn nicht in Frage stellt. Es braucht sehr viele Leute und verschiedene Ansätze für den Wechsel. Das war in der Friedensbewegung und beim Pazifismus schon immer so. Wird dir die Türe zugeschlagen, gehst du zum Fenster rein.

Hans Ulrich John Gerber ist seit Juli 2010 Geschäftsführer beim Forum für Friedenserziehung. Hans Ulrichs Themen sind Gewaltprävention, Friedenstheologie und Theologie der Gewaltfreiheit.

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