Der ewige Sündenbock

Einmal mehr wird sich das Parlament mit Verschärfungen beim Wechsel in den Zivildienst befassen müssen, obwohl die praktisch identische Vorlage 2020 bereits abgelehnt wurde. Der Zivildienst wird erneut für das Alimentierungsproblem der Armee verantwortlich gemacht – ein Problem, welches keines ist.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Zitigs-Ausgabe läuft die Vernehmlassung zur Änderung des Zivildienstgesetzes noch ein paar Tage. Es geht einmal mehr darum, den Zivildienst zu schwächen, um den aufgeblähten Armeebestand zu erhalten. Zur Erinnerung: Nach wie vor verfügt die Armee über einen illegal zu grossen Armeebestand – seit über einem Jahr. Nach wie vor fehlt es an einer transparenten und nachvollziehbaren Begründung beziehungsweise Erklärung, wieso es zu einem «Alimentierungsproblem» kommen sollte. Sämtliche Nachrechnungen kommen auf ein anderes Ergebnis. Ein beliebter Sündenbock ist der Zivildienst. Er sei schuld, dass die Armee jährlich zu viele Leute verliere.

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Dieses Narrativ ist nicht neu: 2020 stimmte das Parlament über eine Gesetzesänderung ab, die mit acht Massnahmen den Übertritt von der Armee zum Zivildienst erschweren wollte. Unter anderem forderte der Vorstoss, dass alle Zivildienstleistende mindestens 150 Tage leisten müssen, ungeachtet davon, wie viel Militärdienst sie bereits geleistet haben. Ausserdem wäre der zeitliche Spielraum verkürzt worden, was die Lebensplanung von Zivis noch stärker erschwert hätte. Der Nationalrat kippte das Gesetz überraschend in der Schlussabstimmung.

Nur zwei Jahre nach der parlamentarischen Abstimmung reichte die SVP eine Motion ein, welche sechs der acht bekannten Massnahmen im selben Wortlaut erneut forderte. Die Stahlhelmfraktion nutzte die Gunst der Stunde des Kriegsausbruchs in der Ukraine und schaffte es tatsächlich, eine beinahe identische Vorlage durch beide Räte zu bringen. Das VBS unterstützte die Motion lautstark, indem es mit verlogener Zahlenspielerei lautstark den Zivildienst für das angebliche Bestandsproblem verantwortlich machte. Dass ein solch unredliches Vorgehen Erfolg hat, entbehrt jeglicher Normalität und zeigt die Verblendung gewisser Politiker*innen.

Wenn Systemrelevanz nichts mehr wert ist

Weshalb diese Massnahmen unfair, nicht notwendig und zum Kopfschütteln sind, darüber wurde damals bereits viel geschrieben. Legen wir mal ein Augenmerk auf den Stellenwert des Zivildienstes: Bekanntermassen sind vorwiegend öffentliche Institutionen z.B. im Gesundheits-, Pflege- oder Bildungsbereich befugt, Zivis zu beschäftigen. Tagtäglich leisten tausende Zivildienstleistende enorm wertvolle Einsätze zugunsten der Allgemeinheit. Etliche Schulen, Kitas, Spitäler, Altersheime und weitere systemrelevante Einrichtungen könnten ohne sie schlichtweg nicht funktionieren. Diese Leistung steht in keinem Verhältnis zu stundenlanger Warterei, dem Ausführen von Kollektivstrafen oder den Beschäftigungstherapien in der Rekrutenschule. Und dennoch würdigt der Bundesrat das Vermächtnis des Zivildienstes in seiner Vorlage mit keinem Wort.

Das Framing bezieht sich ausschliesslich auf die Abgänge in der Armee und auf den Zivildienst als Sicherheitsrisiko. Nicht vergessen: Der Armeebestand ist illegal zu gross. Das ist an Hohn kaum zu überbieten, gerade in einer Zeit, in der die Armee Milliarden an Steuergeldern zugeworfen erhält und in ebendiesen Institutionen abgebaut wird, in denen sich Zivis engagieren dürfen. Was wie ein schlechter Witz klingt, ist leider Realität. So ist der Bundesrat sich auch nicht zu schade, die «volkswirtschaftlichen Kosten» anzusprechen, die der Zivildienst aufgrund von Ausfällen im Beruf verursacht. Man muss nicht weit denken, um zu bemerken, dass die volkswirtschaftlichen und insbesondere die staatlichen Kosten für den Militärdienst um ein X-faches höher sind. Natürlich wird das mit keinem Wort erwähnt, eine unbeschreibliche Verdrehung der Argumentation. 

Diese geplante Gesetzesänderung ist absurd und Teil der fortschreitenden (Re-)Militarisierung in der Schweiz. Wenn es das Parlament nicht nochmals hinkriegt, diese Änderung zu verwerfen, wird es vermutlich das Volk machen müssen. Dann stehen wir bereit.