Die Bewegung gegen die atomare Bewaffnung der Schweiz

Um die Pläne für die atomare Aufrüstung der Schweiz zu verhindern, bildete sich 1958 eine breite Friedensbewegung. Sie lancierte die Volksinitiative für ein Verbot von Atomwaffen, führte Protestaktionen durch und begründete die Tradition der Ostermärsche.

Unter der Ägide der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG) verfolgten der Bundesrat und die Armeeführung seit 1957 das Ziel, die Schweizer Armee auch nuklear aufzurüsten. 1962 erklärte die SOG, „dass niemand ohne Befürwortung der Atomwaffe positiv zur Landesverteidigung eingestellt sein könne“. Organisiert wurde die Kampagne für die atomare Bewaffnung der Schweiz von der Werbeagentur des Generalstabsobersten Rudolf Farner.

Bundesrat verbietet Kongress

Gegen die von allen bürgerlichen Parteien geforderten Atombomben bildete sich im Mai 1958 die Schweizerische Bewegung gegen atomare Aufrüstung (SBgaA). Ihr charismatischer Kopf war der antistalinistische Linkssozialist Heinrich Buchbinder. Er stand mit seiner kleinen Gruppe, die sich Sozialistischer Arbeiterbund (SAB) nannte, in engem Kontakt mit der britischen „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND). Sie hatte 1958 den ersten Ostermarsch organisiert, eine Idee, die anschliessend in vielen Ländern aufgenommen wurde. Buchbinder spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Accra-Assembly, die den globalen Süden in den Kampf gegen die atomare Bewaffnung einband.

Die internationalen Kontakte der SAB ermöglichten die Einladung des britischen Philosophen Bertrand Russel nach Basel zu einem „Europäischen Kongress gegen die atomare Aufrüstung“. Allerdings wurde die Veranstaltung, für die auch der Physiknobelpreisträger Max Born oder der Schriftsteller Erich Kästner zugesagt hatten, am 1. Juli 1958 durch den Bundesrat verboten. Dabei stellte er Buchbinder an den Pranger. Zwei Jahre später untersagte die Zürcher Polizei der SBgaA-Jugend das Aufstellen von Tafeln anlässlich ihrer Hiroshima-Mahnwache. Diese verteilte darauf folgend 20‘000 Flugblätter: „Zürcher Polizei verbietet, an den Atombombenabwurf zu erinnern.“ Im Februar 1960 und im Herbst 1961 gab es Protestaktionen gegen französische und sowjetische Atomwaffenversuche. An der Bewegung beteiligt waren auch der Schweizerische Friedensrat und die Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK).

Volksinitiative für Atomwaffenverbot

Das Hauptengagement der SBgaA galt der am 18. Mai 1958 von 140 Anwesenden beschlossenen Volksinitiative für ein Verbot von Atomwaffen. Bewusst draussen gehalten wurde dabei die moskautreue PdA, „weil ihre Haltung ausschliesslich gegen die atomare Aufrüstung des Westens gerichtet ist“. Die Tatsache, dass etwa ein Drittel der Initianten der SP-Linken angehörte, provozierte am 9. Juni 1958 eine knallharte Reaktion der Parteirechten. Sie wandte sich insbesondere gegen den „Versuch, die Frage der Bewaffnung zum Gegenstand gefühlsmässig unterbauter politischer Feldzüge zu machen.“ Die NZZ jubelte deren „Erklärung der 36“ gar „zu den bedeutendsten Dokumenten der Linken in der Nachkriegszeit“ hoch. Der SPS-Parteitag vom 4./5. Oktober 1958 wurde laut dem Parteipräsidenten Walther Bringolf zu „einem der leidenschaftlichsten“. Nachdem er mit 381:294 Stimmen die Atomverbotsinitiative abgelehnt hatte, beschloss er die Lancierung eines Volksbegehrens für das „Entscheidungsrecht des Volkes“. Bringolf hatte es vorgeschlagen, um eine Parteispaltung zu verhindern. Der religiös-sozialistische Pfarrer Willi Kobe sprach von einem schädlichen „Spaltungsmanöver“.

Die Verbotsinitiative kam am 1. April 1962 auf 35 Prozent, die SP-Initiative am 26. Mai 1963 auf 38 Prozent. Jeweils Ja gestimmt hatten die Kantone Tessin, Genf, Waadt, Neuenburg, bei der zweiten zusätzlich Basel-Stadt. Nach der Atomwaffenverbots-Abstimmung ging die Bewegung weiter. So wurde 1963 der erste Ostermarsch von Genf nach Lausanne durchgeführt. Ab 1966 begannen die Verweigerer-Zahlen zu steigen. Die Bewegung gegen Atomwaffen war die Ankündigung des 1968er Aufbruchs. 1969 unterzeichnete die Schweiz den Atomwaffensperrvertrag.