Die verschiedenen Wahrheiten

Alljährlich werden verschiedene Zahlen zu den Schweizer Kriegsmaterialexporten veröffentlicht. Jedes Jahr gibt es Falschmeldungen und jedes Jahr interpretieren alle die Statistiken ein bisschen anders. Eine Richtigstellung.

In der Woche vom 22. März ging es in der Schweizer Medienlandschaft drunter und drüber. Am Montag titelte der Tages-Anzeiger «Höchster Schweizer Waffenexport seit sieben Jahren». Im Artikel wird auf die neusten Zahlen des international renommierten Instituts Sipri (Stockholm International Peace Research Institute) Bezug genommen. Die Aussage, dass es die höchsten Exporte seit Jahren sind, stimmt. Die Schweiz wird mit den neusten Zahlen pro Kopf gerechnet zum zweitgrössten Rüstungsexporteur der Welt – nach Israel und vor Russland. Am Dienstag dann, als das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die neusten Statistiken der Schweizer Exporte präsentierte, lautete die Schlagzeile: «Schweizer Kriegsmaterial-Exporte auf Tiefstand». Wie kann das sein? Die Schweizer Gesetzgebung sieht vor, dass bei der Exportpraxis ein Unterschied zwischen «besonderen militärischen Gütern» und «Kriegsmaterial» gemacht wird. Kein anderes Land der Welt macht diese Unterscheidung.

Umgehung von Rüstungsembargos

Die Unterscheidung zwischen «besonderen militärischen Gütern» und «Kriegsmaterial» führte im Jahr 2015 dazu, dass das Seco einen starken Rückgang von Kriegsmaterialexporten vermelden konnte. Wenn die beiden Kategorien zusammengerechnet würden, wäre aber ein Anstieg der Exporte um mehr als 10 Prozent zu verzeichnen. Reines «Kriegsmaterial» exportierte die Schweiz im Jahr 2015 für 446 Mio. Franken, dazu kommen «besondere militärische Güter» für 1’165 Mio. Franken. Doch nicht nur auf die öffentliche Wahrnehmung hat diese Unterscheidung einen massiven Einfluss, sondern auch auf die Einhaltung oder eben Umgehung von Rüstungsembargos. Das Seco lässt verlauten, seit März 2015 einen Exportstopp in Länder, welche in den Jemen-Krieg verwickelt sind, verhängt zu haben. Darunter fallen auch Saudi-Arabien oder Qatar. Trotz diesem Exportstopp wurde noch immer Kriegsmaterial in der Höhe von 5,8 Millionen Franken nach Saudi-Arabien exportiert. Viel mehr ins Gewicht fallen jedoch die Exporte der Kategorie «besondere militärische Güter», welche gar nicht vom vermeintlichen Exportstopp betroffen sind. Im Jahr 2015 exportierte die Schweiz Rüstungsgüter in der Höhe von 549 Millionen Schweizer Franken nach Saudi- Arabien. Der Anteil der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und in die Golfstaaten betrug 60 Prozent aller getätigten Schweizer Exporte. Darunter fallen beispielsweise die als «besondere militärische Güter» gerechneten militärischen Trainingsflugzeuge, mit welchen die saudische Luftwaffe ausgebildet wird. Diese Luftwaffe bombardiert im Jemen-Krieg Flüchtlingslager und Krankenhäuser. Die lasche Schweizer Gesetzgebung ermöglicht diese Gräueltaten trotz vermeintlich tiefen Zahlen und vorbildlichen Rüstungsembargos noch immer.