Europäisierte Atombomben und die Schweiz

Wichtige Fragen kommen auf die Schweiz – und vorallem die Schweizer Linke – zu: Wie sollen wir uns gegenüber der militärischen Aufrüstung der EU verhalten? Welchem Europa wollen wir angehören?

Die europäische Militär- und Sicherheitspolitik ist im Umbruch. Die nationalen Armeen verlieren immer mehr an Bedeutung, während die Idee einer gesamteuropäisichen Streitkraft als Gegenpol zu den USA und zur Sicherung europäischer Wirtschaftsinteressen immer konkreter wird.

Der geplante EU-Verfassungsvertrag hätte die Grundlage für weltweite Kampfeinsätze einer europäischen Armee bilden sollen. Darin vorgesehen waren multinationale Eingreiftruppen, innert Tagen bereit zum Einsatz in jedem beliebigen Land der Welt. Eine explizite Verpflichtung der Mitgliedsländer zur stetigen militärischen Aufrüstung wäre festgeschrieben worden. Die heutigen Veto-Möglichkeiten der nationalen Parlamente über den Entscheid zu militärischen Interventionen wäre mit der neuen Verfassung ausgehebelt worden. Obwohl die Ratifizierung des Vertragswerkes seit den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden auf Eis liegt, hat die Umgestaltung der europäischen Militärmacht nichts an Dynamik eingebüsst: Multinationale «Battle Groups» werden ungeachtet der Ablehnung der Verfassung organisiert und die Einsätze der EU-Armee mehren sich: In Bosnien, Kambodscha, Mazedonien, Georgien und demnächst wieder im Kongo stehen Truppen unter der Flagge der Europäischen Union.

Das Ziel dieser Bestrebungen ist klar: Eine von den EU-Regierungschefs in Auftrag gegebene Studie, das «European Defense Paper», spricht von «Expeditionskriegen zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen», von der «Projektion von Macht» in alle Interessengebiete der EU.

Atomwaffen

Inmitten der Diskussionen um Irans Atomprogramm kündigte Frankreichs Präsident Jacques Chirac im Januar 2006 den Ersteinsatz von Nuklearwaffen gegen «Terrorstaaten» an. Wer Frankreich oder seine Verbündeten mit Terror oder Massenvernichtungswaffen bedrohe, müsse mit einem Gegenschlag durch die Force de Frappe rechnen. Während ein grosser Teil der Öffentlichkeit schockiert auf diese neue Doktrin reagierte, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin Merkel, dass sie froh sei, dass Deutschland unter dem französischen Atomschirm stehe.

Das oben erwähnte European Defense Paper fordert, dass «die französischen und britischen Atomwaffen explizit oder implizit» in eine gesamteuropäische Militärstrategie einbezogen werden. Auch der Führungsstab der deutschen Bundeswehr hatte schon 2003 die «Überführung nationaler Atomwaffenpotentiale einiger EU-Staaten in integrierte europäische Streitkräfte». Die Verteidigungsstrategen anderer Länder wünschen unterdessen eine «Europäisierung der Atomwaffen».

Die Utopie einer «Zivilmacht EU» scheint derzeit weitgehend gescheitert.

Und die Schweiz?

Die Schweizer Armee richtet sich bei der Beschaffung von Rüstungsgütern und der Zusammenarbeit bei Auslandeinsätzen schon heute nicht mehr auf die USA und die Nato, sondern auf die europäischen Staaten aus. Für das Armeekonzept der «Sicherheit durch Kooperation» ist die EU der einzige momentan denkbare Partner. Über kurz oder lang wird die politische Diskussion über eine engere militärische Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU, eine Teilnahme an EU-Militäroperationen oder sogar über die Integration von Schweizer Truppen in EU-Verbände beginnen. In Bosnien sind bereits heute Schweizer Soldaten in die EUFOR-Mission eingebettet.

Die Diskussionen werden hart geführt werden. Es wird unheilige Allianzen geben und die Linke wird gespalten sein zwischen überzeugten EU-Befürwortern und denjenigen, welche die Militarisierung der EU mit grosser Skepsis verfolgen. Die sicherheitspolitischen VordenkerInnen der SP lehnen in ihrem aktuellen Armee-Konzeptpapier zwar «den Umbau der EU zu einer Militärmacht» ab, gleichzeitig ist ihr oberstes Credo aber die Teilnahme der Schweizer Armee an internationalen Missionen. Wie sie diesen Widerspruch überwinden wollen, muss die Zukunft zeigen.