Kein Geld für UNRWA: Humanitäre Schweiz, wo bist du?

Ende April forderten Amnesty International und weitere Organisationen den Bundesrat und das Parlament auf, die Finanzierung des UNO-Hilfswerks für die Palästinenser*innen sicherzustellen und sich für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza einzusetzen. Gastbeitrag von Patrick Walder, Amnesty International

Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) empfiehlt dem Bundesrat, einen Teilbetrag für die humanitäre Hilfe der UNRWA zu sprechen – obwohl die Zivilbevölkerung im besetzten Gazastreifen von Hungersnot und einem Völkermord bedroht ist. Mit einer Aktion «Humanitäre Schweiz, wo bist du?» übergaben wir am 29. April zwei Petitionen mit über 45’000 Unterschriften an den Bundesrat und das Parlament. Unsere Forderung: Die Schweiz soll sich ihrer humanitären Tradition besinnen und sich klar auf die Seite des humanitären Völkerrechts stellen. 

Wir begrüssen, dass die Schweiz Ende März als Mitglied im Uno-Sicherheitsrat für die Resolution gestimmt hat, die eine sofortige Waffenruhe, die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und humanitäre Hilfe für Gaza fordert. Es ist jetzt dringend erforderlich, dass sich die Schweiz aktiv für die Umsetzung dieser rechtlich bindenden Resolution einsetzt.

Gleichzeitig bleibt der Beitrag der Schweiz an das Uno-Hilfswerk UNRWA weiterhin eingefroren. Dies obwohl die israelische Regierung bislang keine Beweise für ihre schweren Anschuldigungen gegen einzelne UNRWA-Mitarbeitende vorgelegt hat. Zu diesem Schluss kommt der unabhängige Untersuchungsbericht unter Aufsicht der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna. Nach den Anschuldigungen Israels gegen das Uno-Hilfswerk hatten mehrere Staaten die Finanzierung der UNRWA ausgesetzt, darunter auch die Schweiz. Diese drakonische Entscheidung hat katastrophale Auswirkungen auf das Leben und das Überleben von Millionen Menschen. Die UNRWA ist für die Bildung und Versorgung von sechs Millionen palästinensischer Flüchtlinge in den besetzten Gebieten und in Nachbarländern zuständig. Eine Einstellung der UNRWA-Hilfe hätte eine stark destabilisierende Wirkung auf diese ohnehin schon fragile Region und schadet somit auch den Interessen der Schweiz. 

Das Zögern der Schweiz, die Uno-Hilfe zu finanzieren, während Millionen von Palästinenser*innen im Gazastreifen an Hunger leiden, ist schwer zu begreifen und wird das Ansehen der humanitären Schweiz beschädigen. Wir appellieren an den Bundesrat und an das Parlament, sich klar auf die Seite des humanitären Völkerrechts zu stellen und sich für die Finanzierung der UNRWA auszusprechen. Wir appellieren an ihre Menschlichkeit angesichts der humanitären Katastrophe. Die mutmasslichen Handlungen einiger weniger Angestellten der UNRWA dürfen nicht als Vorwand dienen, um lebensrettende Hilfe für Millionen von Menschen einzustellen.

Der Entscheid, die Unterstützung der wichtigsten Hilfsorganisation im Gazastreifen einzustellen, ist besonders stossend, nachdem ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) im Januar feststellte, dass die palästinensische Bevölkerung im besetzten Gazastreifen von einem Völkermord bedroht sein könnte. Der IGH ordnete an, dass Israel sofort Massnahmen ergreift, um die humanitäre Hilfe sicherzustellen.  

Alle Staaten haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Massnahmen des Internationalen Gerichtshofs umgesetzt werden: Sie müssen die humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen sicherstellen und einen drohenden Völkermord verhindern. 

Die Schweiz soll dem Beispiel mehrerer europäischer Staaten folgen, die die wichtige Rolle der UNRWA anerkennen: Norwegen, Spanien, Irland, Belgien und weitere Staaten führen ihre Finanzierung weiter oder haben sie gar deutlich erhöht. Auch die Europäische Union hat Anfang März 2024 eine erste Tranche von 50 Millionen Euro für die UNRWA freigegeben.  

Die Schweiz muss alles tun, damit die Resolution des UNO-Sicherheitsrats umgesetzt wird. Wenn die internationale Gemeinschaft scheitert, die verabschiedeten Massnahmen umzusetzen, dann bedroht das nicht nur die Zivilbevölkerung in Gaza, es stellt auch den Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten generell in Frage – und das kann niemals im Interesse der Schweiz sein.