Vortrag von Jo Lang an der Versammlung der SP Basel West am 28.3.2025
Putins Krieg und die Synergie von KGB-Kapitalismus mit dem westlichen Fossil- und Finanz-Kapital
Es gibt – abgesehen vom Zweiten Weltkrieg – keinen Krieg seit dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft, mit dem die Schweiz derart verhangen war und ist wie mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Allein aus den beiden wichtigsten Geldquellen, den Rohstoffhandelszentren Zug und Genf, sind Hunderte von Milliarden nach Russland geflossen. Es wird die Aufgabe eines zukünftigen Bergier-Berichts sein, das Ausmass zu berechnen.
„Keine ideologische Prüfkriterien“
Der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hat im März 2022 geschrieben: „Dabei steckt der Kreml seit einem Jahrzehnt jeden Rohstoff-Dollar, den er zusammenkratzen kann, in die Modernisierung der Armee.“ (5.3.22) (Später wiederholte er das nicht mehr, es war ihm wohl zu antikapitalistisch.)
Sowohl für den Rohstoffhandel wie auch die Oligarchen spielten die Zürcher Grossbanken eine unersetzliche Rolle. Es wird die Aufgabe eines zukünftigen Bergier-Berichts sein, das Ausmass zu berechnen.
Zu leicht vergessen geht, dass Putin seine Bomber, Raketen, Butscha-Munition mit St. Galler und Berner Spezialmaschinen baute und baut. Das Seco hatte nach der Krim-Annexion 2014 richtigerweise Sanktionen gegen DualUse-Güter beschlossen. Ein freisinniges Pro-Putin-Powerplay, angeführt von der damaligen St. Galler Ständerätin, hat sie wieder aufgehoben. Der FDP-Volkswirtschaftsminister hatte im März 2016 dem Seco den Tarif der Geldsack-Neutralität durchgegeben: „Keine ideologische Prüfkriterien“.
Friedenspreis für Putin
Am Beispiel Zugs lässt sich Putins Geschäfts-Strategie anschaulich darstellen:
Am 12. Oktober 2002 erhielt Putin im Zuger Casino von Michail Gorbatschow einen mit orthodoxer Symbolik aufgeladenen Friedenspreis – im 4. Jahr seines Tschetschenienkriegs. Und im ersten Jahr des Krieges gegen den Terror, der nicht zuletzt eine Bush&Putin-Allianz war. (Der US-Botschafter war in Zug als Ehrengast dabei.)
Allerdings hatte Putin das Pech, dass ausgerechnet in diesem Jahr der grün-alternative Regierungsrat Hanspeter Uster Landammann war. Zuerst erklärte er öffentlich, dass er persönlich den Anlass boykottiere, weil er im Frühjahr 2000 eine Mahnwache gegen den Tschetschenienkrieg mitorganisiert hatte. Dann blieb dem Gesamtkollegium keine andere Wahl, als der Friedensfeier geschlossen fernzubleiben. Der amtliche Boykott dürfte der Grund gewesen sein, dass Putin selber im letzten Moment auf die Reise nach Zug verzichtete. Er erhielt den Preis in absentia.

Damals war uns schon klar, dass Putin selber hinter dem Friedenspreis steckte. Was der Anlass bezweckte, ahnten wir 2003 und 2004, als die Rosukrenergo und die Gazprom nach Zug kamen. Dann tauchten Ende 2005 im Zuger Handelsregister eine ganze Reihe von russischen Firmen auf. Eine, die NordStream, fiel uns besonders auf: Matthias Warnig als CEO, Urs Hausheer als einziger Verwaltungsrat. Warnig war ehemaliger Stasi-Offizier, Hausheer war in den 1980er Jahren zuerst CVP-Gemeinderat und dann Verwaltungsratspräsident der Stasibeschaffungsfirma Asada. Zug war damals das Zentrum der Stasibeschaffungslinie 4 für HighTech gewesen. Dazu stiessen wir noch auf den Namen Gerhard Schröder, der wenige Wochen zuvor noch Bundeskanzler gewesen war.
Weil wir wussten, dass Putin die West-Expansion seines KGB-Kapitalismus mit ehemaligen Stasibeschaffungsleuten wie Warnig und Hausheer aufbaute und dass Schröder einer der besten Kumpel des russischen Staatspräsidenten war, verwandelte sich unsere Ahnung in Gewissheit: Mit dem Friedenspreis hatte Putin der russischen Wirtschaftselite seinen bevorzugten Hauptstandort durchgegeben. Danach folgten weitere, zB. Genf.

Nordstream 2 Trump&Putin
Heute fragt sich die Welt, ob die NordStream2, die 2015 gegründet wurde, zum globalen Symbol der Trump&Putin-Allianz wird. Übrigens ist der ehemalige Zuger Gemeinderat immer noch einziger Verwaltungsrat der Nordstream1 und der ehemalige deutsche Bundeskanzler immer noch Verwaltungsrat der Nordstream2.
Das verheerende Kriegsverhängnis Schweiz-Putin hat zwei Hintergründe: Erstens ist Russland das rohstoffreichste Land auf der eurasischen Landmasse. Und zweitens ist die Schweiz eine der grössten Rohstoffhandelsmächte der Welt. Sie ist der wichtigste
Kurz nach der Verleihung des Friedenspreises brach im November 2002 im Atlantik vor Finisterra (Ende der Welt) ein Schrottanker mit dem ebenfalls symbolischen Namen Prestige auseinander und provozierte eine 3000 Kilometer lange Ölpest von Galizien über das Baskenland bis in die Landes hinauf. Der verantwortliche Konzern hatte seinen Sitz in Zug und gehörte zwei Moskauer Oligarchen. Die beiden waren sowohl mit Marc Rich als auch mit Putin verbunden.
Pazifismus und Ukrainekrieg

Pazifismus in der Schweiz bedeutet zuallererst: Kampf der Fütterung von Kriegen – mit Geld, aber auch mit Gütern! Das sprengt die gängige Einengung des Begriffs Pazifismus auf die Frage der Gewaltanwendung. Für einen Pazifismus, der sich nicht primär als Mittel (Gewaltlosigkeit), sondern als Ziel (Weltfrieden) versteht, gehört der Kampf gegen Autoritarismus und Unterdrückung, erst recht gegen das Füllen von Kriegskassen, zu den Kernthemen. Dazu passt auch das 1901 von Émile Arnaud, dem Präsidenten der Ligue Internationale de la Paix et de la Liberté, geschaffene Kunstwort „pacifisme“. Es setzt sich zusammen aus den lateinischen Wörtern „pax“ (Frieden) und „facere“ (machen). Pazifismus heisst in seiner ursprünglichen Bedeutung „Frieden stiften“.
Pazifismus heisst Frieden stiften
Aber das Stiften von Frieden kann in Extremfällen den Einsatz von Waffen erheischen. Es brauchte die Armeen der Alliierten, um die Welt von den Nazis zu befreien. Zu den grössten Niederlagen für den Pazifismus zählt der militärische Sieg eines Kriegsherrn. Das war in den 1960er Jahren, als sich Vietnam gegen die Invasion der USA zur Wehr setzte, den meisten Friedensbewegten klar. Praktisch alle anerkannten das Recht Vietnams, die Unabhängigkeit militärisch zu verteidigen und dafür von der Sowjetunion und von China Waffen zu beziehen. Die Niederlage des westlichen Aggressors erleichterte in den 1970er Jahren die Entspannungspolitik und die atomare Abrüstung.
Was für die USA galt, gilt heute für Russland. Ein Erfolg von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine wäre ein Rückschlag für den Frieden, und zwar weltweit. Um das zu verhindern, ist die Ukraine auf Nato-Waffen angewiesen.
Was bedeutet all das für die Schweiz?
Erstens gebietet das Neutralitätsrecht, das ohne Volksabstimmung nicht verändert oder aufgegeben werden kann, die Gleichbehandlung beider Seiten in der Waffenfrage. Rüstungsmaterial darf also nur an beide oder an keine Seite weitergegeben oder vermittelt werden. Zudem: Hätte die Schweiz Waffen geliefert oder vermittelt, hätte es keine – von der Ukraine hoch geschätzte – Bürgenstock-Konferenz gegeben.
Politische Vernebelungsformel
Es war von Anfang davon auszugehen, dass die Schweizer Waffenfrage rechtlich unmöglich, politisch unrealistisch und militärisch marginal ist. Wie marginal sie ist, illustriert die Tatsache, dass die 12‘400 Schuss Munition, über die seit drei Jahren diskutiert wird, den Gegenwert von 0,8 Promille jener 11 Milliarden haben, die Glencore allein im Dezember 2016 in Putins Kriegskasse steckte.
Früher waren 0,8 Promille eine alkoholische Vernebelungsformel. Gerhard Pfister machte aus ihr eine politische. Als er im März 2022 den Slogan „Munition für Kiew“ lancierte, meinte er Nebelpetarden für Zug und sich selbst. Unter anderem hatte er zu vernebeln, dass er im März 2006 meine Abwahl postuliert hatte, nachdem ich mich von Zuger Firmen distanziert hatte, die für Putin den Erdgaskrieg gegen die Ukraine führten.
Es wird immer klarer, wozu die angestrebte Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes diente und dient: dem viel lukrativeren Golfstaaten-Geschäft der hiesigen Rüstungskonzerne. Wäre es den Bürgerlichen um eine beschränkte Lex Ukraine gegangen und hätten sie eine weitergehende Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes ausgeschlossen, wäre die Vorlage im National- und Ständerat durchgekommen und die GSoA hätte kein Referendum ergriffen. Was heute vorliegt, ist eine ungeschminkte Lex Saudi und eine camouflierte Lex Saudi. Beide stellen wichtige Errungenschaften der Korrekturinitiative in Frage: keine Waffen aus der Schweiz in Länder mit Bürgerkrieg oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen.

Die letzten drei Jahre redete die Schweiz über das, was sie nicht darf, um nicht zu reden, über das, was sie tat und tut: Putin-Aufrüstung und vor allem was sie muss: Finanzhilfe an die Ukraine. Die medial als „ukraine-freundlich“ gefeierte Mitte hat die von Matthias Zopfi vorgeschlagene 5 Milliarden-Ukraine-Hilfe im Juni 2023 abgelehnt. Und vorletzte Woche auch den Vorschlag von Fabian Molina.
Hätte die Linke entschlossen und geschlossen auf die Doppel-Frage: Finanzierung von Putins Kriegskasse – Finanzhilfe für die Ukraine gesetzt, hätte das der Ukraine mehr gebracht. Den grössten Druck zugunsten der Ukraine hätten wir entwickeln können mit dem Argument: Die Schweiz ist mitverantwortlich für die Zerstörung der Ukraine. Deshalb ist sie besonders herausgefordert für den Wiederaufbau Multi-Milliarden-Hilfe zu leisten.
UNO und Völkerrecht
Ich kehre zur allgemeinen Frage des Pazifismus zurück:
Der Kern des Pazifismus oder des Friedenstiftens ist wie im Standardlexikon „Geschichtliche Grundbegriffe“ von 1978 festgehalten wird: „die Schaffung einer auf Recht gegründeten Staaten- und Völkergemeinschaft“.
Und hier sind wir bei einer Fragestellung, die alle friedenspolitischen Überlegungen und Bestrebungen seit der Aufklärung prägt. Immanuel Kant schlug 1795 in seinem „philosophischen Entwurf“ mit dem Titel „Zum ewigen Frieden“ die Entwicklung eines universellen „Völkerrechts“ und die Gründung eines „Völkerbundes“ vor. Die im Juni 1945 von 50 Staaten unterzeichnete UNO-Charta war stark von Kant und seiner Philosophie geprägt.
Nur ein universeller Völkerbund, der auf dem Völkerrecht baut und dieses auch durchzusetzen vermag, kann den Weltfrieden, das Ziel aller Menschen guten Willens, erreichen. Dass die UNO, die in den frühen 1990er Jahren ein Revival erlebte, heute derart geschwächt dasteht, hat nicht nur mit Trump und Putin zu tun. So wurden Gorbatschow mit seinem Projekt „Gemeinsames Haus Europa“ und die UNO sowie das Völkerrecht ab 1995 von der NATO auf dem Balkan und in den Nuller Jahren durch die USA und Grossbritannien mit dem War on Terror richtig vorgeführt.
Trump & Putin et al: Das Recht des Stärkeren gegen die Stärke des Rechts

Was wir heute erleben, ist eine globale Schwächung des Rechts zugunsten der Rechte der Stärkeren, wie wir es seit 1945 nie mehr erleben mussten, und zwar in militärischen wie politischen und ökonomischen Bereichen. Zum Ukrainekrieg kam der Gazakrieg. Dieser wurde durch das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 ausgelöst. Netanyahu reagierte mit einer Kaskade von Kriegsverbrechen, die mindestens 50‘000 Menschen das Leben kosteten. Er verschärfte die völkerrechtswidrige Besetzung des Westjordanlandes und bombardierte den Libanon und Syrien. All das, um einen Palästinenserstaat zu verhindern.
80 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki
Dann kam Trump, der die beiden Kriegsverbrecher und Völkerrechts-Feinde bestärkte und damit die UNO und das Völkerrecht noch mehr schwächte. Dazu kündigte er die Annexion von Gebieten anderer Staaten wie Grönland, Panama oder gar Kanadas an. Die drei Staaten Russland, USA, Israel sind die mächtigsten unter den 18, die am 24. Februar 2025 in der UNO-Vollversammlung die Ukraine-Resolution zugunsten Putins ablehnten.
Aber auch Länder, die sich bei dieser Abstimmung enthielten, beispielsweise China, ziehen notfalls das Recht des Stärkeren der Stärke des Rechts vor. Und selbst unter den europäischen, die als völkerrechtstreu gelten, nehmen sich einige das Recht heraus, ohne UNO-Mandat weltweit zu operieren: Grossbritannien beispielsweise im Irak-Krieg oder Frankreich in Afrika. Eine europäische Armee unter britisch-französischer Führung hätte ein arg koloniales Gschmäckle.
Weiter erleichtert die Schwächung der UNO und des Völkerrechts Kriege in Gebieten, die geostrategische keine hohe Bedeutung haben, aber trotzdem grosses Leid verursachen. Ich denke hier an den Sudan oder an Kongo/Ruanda. Besonders beunruhigend ist das Drohen mit der Atomwaffe, das während ein paar Jahrzehnten tabu war. Putin ist diesbezüglich am weitesten gegangen, aber auch israelische Minister haben mit Atomeinsätzen im Gaza gedroht. In den USA fordert das konservative „Projekt 2025“ den Vorrang der Atomwaffenprogramme vor allen anderen Sicherheitsprogrammen. Und sogar in Deutschland wird die Frage aufgeworfen, ob es sich atomar aufrüsten soll. Und das im 80. Jahr von Hiroshima und Nagasaki!

Gerade die Atom-Diskussion zeigt, wie falsch die Sicherheits- und Friedensdiskussion auch in Europa läuft. Noch falscher wird sie angesichts der Tatsache, dass die grösste Sicherheits-Herausforderung auf unserem Planeten die Klimaerhitzung ist. Der analoge Klima-Betrag der EU zum Aufrüstungs-Betrag von 800 Milliarden beträgt 35 Milliarden. Machen wir uns keine Illusionen: Das Hauptopfer des grassierenden Aufrüstungs-Wahns ist der Klimaschutz.
Fragwürdige Aufrüstung
Wie fragwürdig diese massive Aufrüstung ist, zeigen zwei Grafiken aus einer wissenschaftlichen Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat. Deren renommierten Autoren (zB. Prof. Herbert Wulf, der am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) geforscht hatte) vertraue ich mehr als EU-Politikern, die Putins Kriegskasse füllten und immer noch füllen. Zum Beispiel dem Franzosen Macron, der aus Rücksicht auf Total Sanktionen auf Flüssiggas verhindert. Oder dem Deutschen Lars Klingbein, der eine wichtige Figur in Schröders Moskau-Connection war.

Die einzige sinnvolle Rüstungserhöhung ist zugunsten der direkten Militärhilfe an die Ukraine.
Der Hauptgrund für die Unfähigkeit Westeuropas, strategische Autonomie zu erringen liegt nicht in fehlenden Mitteln. Er liegt an einer national beschränkten Rüstungs- und Verteidigungspolitik. Dazu kommen nationale Eigenheiten wie die überbordende Militärbürokratie in Deutschland, die auch viele der zusätzlichen Milliarden auffressen wird. Oder die britische Nuklearstrategie, die den anderen Armeebereichen viel Geld wegfrisst.

Es stimmt nicht, dass in den letzten Jahren nicht aufgerüstet wurde.
Was die Truppenstärke betrifft, verfügt die Nato gesamthaft über 3,3 Mio Soldaten. 1,4 Mio sind aus den USA und Kanada, von ihnen sind 100‘000 in Europa. Die Europa-Nato hat 2 Millionen Soldaten, Russland 1,3 Mio. Davon eine halbe Million westlich des Urals. Zudem gelten die russischen Soldaten als wenig kampfstark. Warum macht Putin keine allgemeine Mobilmachung? Weil er Angst vor Unruhen oder gar einen Volksaufstand hat!
Wer heute von der Gefahr eines Dritten Weltkriegs redet, der hat keine grosse Ahnung vom Ersten und Zweiten Weltkrieg. Putin ist eine grosse Gefahr für das ukrainische, aber auch das russische Volk. Es wird die russischen Minderheiten in den Baltischen Staaten benützen, um Unruhe und Unsicherheit zu schaffen. Er wird den Cyber-War ausbauen. Und die Desinformation intensivieren – mit Hilfe seiner zahlreichen rechtskonservativen und linksstalinoiden Komplizen wie Trump & Orban, Weidel & Wagenknecht, Köppel & Konsorten. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass er einen Frontalangriff gegen die Nato wagt. Putin ist nicht einmal fähig, das Kiew oder das in seiner direkten Nähe liegende Charkiw zu erobern.
Militärisch-industriell-finanzieller Komplex
Bei der EU-Aufrüstung spielen Rüstungskonzerne eine wichtige Rolle – nicht nur als Profiteure, sondern auch als Politik-Gestalter. Das Budget deren Lobby in Brüssel ist zwischen 2022 und 2023 um 40 Prozent gestiegen.
Der militärisch-industrielle Komplex, vor dem Präsident Eisenhower bei seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 dringend gewarnt hat, ist inzwischen zu einem militärich-industriell-finanziellen geworden. So hat die Investmentgesellschaft BlackRock Anteile an Airbus, Leonardo, Thales, Indra Sistemas, Dassault in Europa sowie Boeing, Lockheed Martin, Raytheon, Northrop et General Dynamics in den USA.
Das Ende der bewaffneten Neutralität im Schatten der Rohstoffhandels-Grossmacht

Die Schweiz ist durch Putin militärisch nicht bedroht – auch dank der Nato. Sie ist allerdings betroffen von Cyber-War, Spionage, Desinformation. Dagegen braucht es durchaus mehr Mittel. Was die Luftpolizei betrifft, braucht es 12 Jets, die schnell fliegen und rasch aufsteigen können.
Der F-35, in dessen Cockpit Trump und Musk sitzen, ist keine Sicherheits-Garantie, sondern ist ein Sicherheits-Risiko. Die Grundlage jeglicher Sicherheitspolitik, die diesen Namen verdient, ist ein Rückkommen auf diesen Mega-Fehlentscheid. Auch Linke, die bei der Aufrüstung nicht zum Voraus gegen Eintreten sind, bleiben nur konsequent, wenn sie für ein Mitmachen den Verzicht auf den F-35 zur Conditio sine qua non machen.
Die Luftschlösser der „Nato-Kooperation“
Allen Leute, die in keiner finanziellen oder sentimentalen Abhängigkeit zur Armee stehen, und dazu gehören wichtige Teile der Militärführung, ist klar: Der Alleingang ist überholt. Die bewaffnete Neutralität ist ein Auslaufmodell. So hat auch der bisherige Chef der Armee Thomas Süssli erklärt, dass sich die Schweiz alleine nicht mehr nachhaltig verteidigen könne.
Politik und Militär versuchen nun, Alleingang und „Nato-Annäherung“ zu verbinden: Panzer für die SVP und F-35 für die FDP. Diese Verdoppelung ist praktisch unsinnig und finanziell superteuer. Hinter dem Zauberwort „Nato-Kooperation“ steckt der „Bau von Luftschlössern“.
Das Zitat stammt aus dem höchst lesenswerten Buch „Von Feld zu Feld“ von Bruno Lezzi, einem legendären NZZ-Militärredaktor, Nachrichtenoffizier und Generalstabsoberst, der leider vor zwei Jahren gestorben ist.
Zu den Problemen mit der Miliz schrieb Lezzi: „Im Rhythmus der Wiederholungskurse mit stets wechselnden Formationen lässt sich keine Tiefenwirkung erzielen. (…) Eine sporadische Übungsbeteiligung, die dem Ausbildungsrhythmus der Miliz folgt und damit zwangsläufig an der Oberfläche bleibt, bringt fachlich nichts.“In anderen Worten: Die Schweizer Milizsoldaten stehen den Nato-Berufssoldaten bloss im Weg.
Noch grössere Probleme für die Nato- sieht Lezzi im Zusammenhang mit der Neutralität. „Ohne Integration in das Luftverteidigungssystem der Allianz ist beispielsweise die Durchführung von Luft-Boden-Operationen über weite Distanzen nicht zu denken.“ Daraus schliesst Lezzi: „Keinesfalls darf die Illusion genährt werden, dass Neutralitätsrecht und Neutralitätsstatus eine Verteidigungskooperation erlauben, die einen wirklichen Sicherheitsgewinn brächte.“
Abschaffung der Neutralität oder der Armee
Lezzi ist deshalb für den Beitritt zur Nato, der die Abschaffung der Neutralität erheischt. Seine Überlegungen sind rational, aber nicht zwingend. Es gibt eine andere rationale Option: Die Schweiz verwandelt die heutige Geldsack-Neutralität in eine umfassende Friedens- und zivile Sicherheitspolitik im nationalen wie im internationalen Rahmen von UNO, OSZE und auch EU. Und schafft eine Armee ab, die nur im Rahmen der Nato Sinn macht. In der Republik hat Priscilla Imboden im letzten September beide Optionen detailliert vorgestellt.
Meine Zeit reicht hier nicht, um die Option Umfassende zivile Friedens- und Sicherheitspolitik auszuführen. Mein jetzige Botschaft ist: Die Schweiz steht vor der Alternative, die Neutralität oder die Armee abzuschaffen. Alles andere ist doppelt teures Flickwerk oder eben: „Bau von Luftschlössern.“
Rohstoffhandels-Grossmacht und Kriegspolitik
Die wichtigste Lehre aus Putins Angriffskrieg lautet für die Schweiz: Als Rohstoffhandels-Grossmacht spielt sie sicherheitspolitisch eine derart bedeutende Rolle, dass alle anderen sicherheitspolitischen Aspekte ziemlich marginal erscheinen. Wir müssen uns den Fragen stellen:
Könnte Putin seinen Krieg noch finanzieren ohne die Hunderten von Milliarden, die ihm seit der Krim-Annexion 2014, erst recht seit dem Erdgaskrieg 2006 aus der Schweiz zugeflossen sind und weiter zufliessen noch finanzieren?

Könnte Putin noch Bomber, Raketen, Munition gegen die Ukraine einsetzen, ohne die unersetzlichen Spezialmaschinen, die er nach einem kurzen Unterbruch zwischen 2016 und 2022 erhielt. Ein Militärforscher an der ETH sagte im September 2022 gegenüber der NZZ: „Importierte Dual-Use-Güter spielen für die Kampfkraft der russischen Armee eine grössere Rolle als die Einfuhr von fertigen Waffensystemen.“ (12-9-22).
Die gelieferten Maschinen produzieren weiter, sie kennen keine Sanktionen. Besonders bedenklich ist, dass die Fütterung von Putins Kriegskasse weitergeht. So bleibt die Schweiz der multinationalen Taskforce Repo zur Umsetzung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland fern. So lehnt sie Sanktionen gegen Tochtergesellschaften in Drittstaaten ab – wie auch das Verbot der Rechts- und Steuerberatung für die russische Regierung und russische Unternehmen.

Mit der EU weigert sich die Schweiz, russisches Flüssiggas zu sanktionieren. Putins LNG-Firma sitzt – nicht ganz überraschend – in Zug. Allein letztes Jahr spülte die Novatek 8 Milliarden Dollars in Putins Kriegskasse. Das entspricht dem 900fachen Gegenwert der 12‘400 Schuss Flak-Munition, über die wir seit drei Jahren reden.
Am 3. Jahrestag von Putins Krieg verlangten Alternativ-Grüne und GSoA in Sichtweite der Novatek eigenständige Sanktionen der Schweiz. Die Nationalrätin Manuela Weichelt hat dafür einen Vorstoss eingereicht.
Pharma-Kriegsgewinne
An diesem Platz möchte ich eine kritische Frage an die Basler Linke anbringen. Ich weiss, dass es nicht dasselbe ist, Putin Milliarden in die Kriegskasse zu spülen wie Russland Pharma zu liefern. Zudem ist es humanitär geboten, in jedes Land essentielle Medikamente zu liefern.

Aber Roche und Novartis liefern weit mehr als das „Essentielle“ – unabhängig davon, wie dieses definiert wird. Auf jeden Fall ist es fragwürdig, wenn die Basler Pharma in einer Zeit, wo allenthalben Sanktionen verlangt werden, ihre Exporte nach Russland massiv ausweitet. Das riecht nach „Kriegsgewinnlerei“.
Meine kritischen Fragen an die Basler Linke lauten: Warum gab es nie irgendeine Aktion gegen die Russlandgeschäfte? Und vor allem: Warum gibt es darüber nicht einmal eine Diskussion?
Konzernverantwortung und Friedenspolitik
Das Sinnvollste, was die Schweiz heute tun kann, ist die Stärkung der UNO und des Völkerrechts. Sie bleiben der Schlüssel für den Weltfrieden. Dazu braucht es mehr Geld, eine mutige Diplomatie und eine Haltung, die keine Rücksichten auf fremde Mächte und eigene Gelder nimmt. Dazu braucht es auch mehr Schweizerinnen und Schweizer für UNO-Missionen. Und das sage ich als GSoA-Mitglied.
Aber die wichtigste Herausforderung für die Schweiz ist es, ihre Rolle als Rohstoffhandels-Grossmacht auch als sicherheitspolitische zu verstehen. Putin-Kriegskasse & Ukraine-Krieg sind nicht das einzige Beispiel: Welche Rolle spielen Schweizer Rohstoffkonzerne im Kongo-Ruanda-Krieg? Welche im Nahost-Konflikt? Welche im Sudan? Welche in der Trump-Offensive gegen Lateinamerika?
Die nächste Konzernverantwortungsinitiative wird eine friedenspolitische sein.