Krieg und Traumata – am Beispiel Israel und Palästina 

Es sollen einige wenige Aspekte der «Linie» Shoah – Gründung des Staates Israel 1948 – Junikrieg 1967, unter dem Gesichtspunkt der andauernden israelische Besatzung kurz angeleuchtet werden.

In Israel /Palästina stehen sich zwei hochverwundete Bevölkerungen gegenüber. Je länger Besatzung und Krieg andauern, desto tiefer werden die Wunden gegenseitig. Die Mehrheit der jüdisch-israelischen Bevölkerung wünscht sich mehr oder weniger einen Staat, mit einer jüdischen Mehrheit. Sehr viele Palästinenser:innen wünschen sich zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer einen Staat aller seiner Bürger:innen mit gleichen Rechten und Pflichten. Darin liegen unüberwindbare Widersprüche. Israelis und Palästinenser:innen leiden je aus historischen Gründen unter schweren Traumata (Verletzungen ihrer Seelen)

Shoah (Katastrophe)

Meine Mutter stammt aus einer vom Holocaust betroffenen Familie aus Hamburg und verlor zwei ihrer Schwestern. Ein Bruder überlebte in Amsterdam in einem Versteck. Die Tochter einer christlichen Familie brachte ihm bis zum Ende des 2. Weltkriegs das Essen. Als Kinder (second generation) erlebten wir, dass unsere Mama während Jahrzehnten unter schweren Depressionen litt, also traumatisiert war.

Solche  Erfahrungen aus der jüdischen Geschichte werden von Generation zu Generation weitererzählt. Ist es da ein Wunder, dass nach dem Überfall durch die Hamas am 7. Oktober bei vielen jüdischen Israelis alte Wunden wieder aufgerissen wurden?

Gründung des Staates Israels 1948

Für jüdische Menschen war das eine Erlösung aufgrund der langen Geschichte mit Verfolgungen, Traumatisierungen, Ausrottungen. Für die Araber:innen / Palästinenser:innen hatte Israels Staatsgründungdie Vertreibung von ca. 750’000 Menschen aus Israel zur Folge, die Nakba (Katastrophe), der Beginn des Traumas, das bis heute anhält und ebenfalls von Generation zu Generation weitererzählt wird. Stehen die Palästinenser:innen heute vor einer zweiten Nakba? Diese beiden Katastrophen, die Shoah und die Nakba, sind wesentliche Mitgründe für die nahöstliche Tragödie: Der Junikrieg von 1967 durch die andauernde israelische Besatzung und die Gazakriege mit den Folgen bis heute.

Hier liegen wesentliche Gründe für die verheerenden Entwicklungen, die zur nahöstlichen Tragödie führten. In meinen Projektreisen in Gaza (erstmals war ich dort im Herbst 1987, kurz vor der Ersten Intifada), Ostjerusalem, Westbank sowie in Israel erkundigte ich mich immer wieder nach dem Befinden in der Bevölkerung. Insbesondere bleiben mir Störungen bei Kindern auch im Schulalter als Folgen der Besatzung in Erinnerung: v.a. Bettnässen, Stottern, Ängste oder Lernschwierigkeiten. Die Psychodramatikerin Heba nennt Ähnliches aufgrund ihrer Arbeit Gaza, dass bei Kindern dort oft Symptome von Traumata zu beobachten seien. 2020 zeigte eine Studie, dass 53.3 % bereits zuvor davon betroffen waren. Es handelt sich um Postraumatische Belastungsstörtungen PTBS. So heisst es bei Google verkürzt: “Die posttraumatische Belastungsstörung PTBS ist eine Beeinträchtigung, die nach einem traumatischen Ereignis auftritt. Sie ist gekennzeichnet durch aufdringliche Gedanken, Alpträume und Flashbacks, die Vermeidung von Erinnerungen an das Trauma, negative Stimmungen und Schlafstörungen.”

Es reicht aber nicht, PTBS nur klinisch sehen zu wollen.

Gerade im Nahostkonflikt ist es notwendig, die Symptome im Kontext der anhaltenden Besatzung und der Gazakriege seit 2008/2009 und seit dem 7. Okotober 2023 miteinzubeziehen. PTBS ist verknüpft mit ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Interessen. Künftig wird es von Bedeutung sein, Aspekte der seelischen Verwundungen sowohl palästinensischer als auch israelischer Menschen ernsthaft auf Wegen hin zu Frieden miteinzubeziehen, z.B. durch Zugang zu angemessenen psychischen Gesundheitsdiensten.

Jochi Weil-Goldstein, Zürich, 1981 – 2013 Mitarbeiter bei Centrale Sanitaire Suisse CSS Zürich / medico international schweiz