Wer das Völkerrecht ernst nimmt, verurteilt jede schwerwiegende Verletzung und die Kriegsverbrechen aller Seiten.
Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022, die Besetzung von Teilen des Landes, Massaker wie das in Butscha, all die Raketenangriffe gegen Ziele, die auch Zivilpersonen treffen, sind schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts. In der Schweiz haben die meisten, aber nicht alle Parteien sowie politischen Personen und Kräfte den Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen verurteilt. Dasselbe gilt für den barbarischen Überfall der Hamas am 7. Oktober auf israelische Bürgerinnen und Bürger. Weniger deutlich ist die Verurteilung der zahlreichen Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Gazastreifen.
Duldung von Putins Krieg
Es gibt Gruppen und Personen, die Putins Völkerrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen ganz oder weitgehend verschweigen und gegen die durch Israel verübten auf die Strasse gehen. Von den über 80 Organisationen, welche die Basler Palästina-Demo vom 13. Januar unterstützten, haben nur wenige Putins Völkerrechtsverletzungen unmissverständlich und wiederholt verurteilt. Der Demo-Aufruf selber erwähnte die Massaker der Hamas wie auch die israelischen Geiseln in keinem Wort. Organisationen, die eine solche Haltung vertreten, sind nicht besonders glaubwürdig, wenn sie die Kriegsverbrechen Israels verurteilen und die Durchsetzung des Völkerrechts im Nahen Osten verlangen.
Ebenso fragwürdig ist die Haltung jener Kreise, welche die Völkerrechtsverletzungen und Massaker Putins wie auch diejenigen der Hamas in aller Schärfe verurteilen, aber zu den israelischen Kriegsverbrechen schweigen. Der Gazakrieg hat bislang mehr Zivilpersonen das Leben gekostet als der Ukrainekrieg. Die Tatsache, dass die israelische Armee im Unterschied zur russischen auf einen Angriff reagierte, rechtfertigt die fehlende Kritik nicht. Das humanitäre Völkerrecht (ius in bello) gilt für alle Kriegführenden, unabhängig von der Rechtmässigkeit einer militärischen Operation. (Die Frage des Rechts, zwischenstaatliche Gewalt anzuwenden, des ius ad bellum, ist in der UNO-Charta geregelt.)
Das humanitäre Völkerrecht verbietet gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte. Dasselbe gilt für Angriffe auf militärische Ziele, wenn sie unverhältnismässige Schäden für Zivilpersonen oder an zivilen Objekten verursachen. Die hohe Anzahl von Toten, unter ihnen viele Kinder, wie auch die Zerstörung überlebenswichtiger Einrichtungen im Gaza lassen keinen Zweifel zu, dass Israel das Kriegsvölkerrecht massiv verletzt. Dazu kommt, dass die jahrzehntelange israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik ohnehin völkerrechtswidrig ist.
Schweigen zu Gaza
Besonders störend ist das Schweigen von Parteien und Politiker*innen zu Gaza, die im Falle der Ukraine zur Durchsetzung des Völkerrechts Waffenlieferungen trotz Neutralitätsrecht postulieren. Diese extrem ungleiche Empathie mit zivilen Opfern und inkonsequente Haltung zum Völkerrecht werfen die Frage auf: Geht es vielen Bürgerlichen nicht vor allem darum, von der schweizerischen Beihilfe zur Aufrüstung Putins abzulenken? Und verfolgen etliche Linke nicht das Ziel, den Universalismus zugunsten des «Westens», die UNO zugunsten der Nato aufzugeben?
Glaubwürdiger sind jene, die das Völkerrecht, insbesondere das humanitäre, in beiden Kriegen hochhalten. Dazu gehören all die Organisationen und Personen, die sich an Kundgebungen für einen gerechten Frieden in der Ukraine wie im Nahen Osten beteiligt haben. Was in Osteuropa wie im Nahen Osten ein gerechter Friede ist, bestimmt das Völkerrecht. Im Fall der Ukraine ist es ein Rückzug der russischen Truppen an die Grenzen vor der Krimbesetzung. Im Falle von Israel/Palästina ist es das Ende der Besatzungs- und Siedlungspolitik, die gegenseitige Anerkennung der Existenz von zwei Völkern und das Recht der Palästinenser*innen auf Eigenstaatlichkeit, sei es im Sinne einer Zweistaatenlösung oder einer binationalen Föderation. Was auch zu einem gerechten Frieden gehört, ist die Ahndung aller Völkerrechts-Verletzungen und die Bestrafung aller Kriegsverbrechen.