Als der Autor und Kabarettist Bänz Friedli erfuhr, dass die Schweiz den Atomwaffenverbotsvertrag noch nicht unterschrieben hat, fiel er aus allen Wolken. In seinem Gastbeitrag erklärt er, warum die Beteiligung der offiziellen Schweiz dabei zentral ist: Für eine Neutralität, die dem Frieden dient – und nicht nur dem Portemonnaie.
«Das ist jetzt aber nicht euer Ernst?», war meine erste Reaktion, als ich von der Atomwaffenverbots-Initiative vernahm. Sie will den Bundesrat dazu bewegen, dem entsprechenden Vertrag der Vereinten Nationen beizutreten. «Nicht euer Ernst?», fragte ich. Und hätte sagen sollen: «Nicht unser Ernst?» Wie kann es sein, dass unser Land das Atomwaffenverbot nicht längst unterzeichnet hat?
Aber ich will der Reihe nach erzählen. Wissen Sie, ich bin als Pazifist aufgewachsen. Friedensbewegt zu sein, fühlte sich einfach gut an. Wir trugen ja auch «Arafat-Tüechli» – so wurde die Kufiya, das Palästinensertuch, damals genannt –, ohne uns dabei gross etwas zu denken, wir verwöhnten Einfamilienhüslikinder aus der Agglo. Und hefteten uns die Solidarität mit Solidarność mittels Ansteckbuttons an die Secondhand-Militärkutten. Ohne viel mehr zu wissen, als dass dieser polnische Gewerkschafter Lech Wałęsa doch bestimmt ein aufmüpfiger Chog war. Und obendrein lustig aussah mit seinem Schnauz! In Wahrheit war es komplizierter, und wir hätten überlegen müssen, weshalb Wałęsa auch den Bürgerlichen im Westen so gefiel: weil er gegen den bösen Kommunismus und für die Marktwirtschaft eintrat.
An Ostern und Pfingsten nahmen wir samt «Arafat-Tüechli» und Solidarność-Anstecker an Friedensmärschen teil. Manchmal waren es auch Märsche gegen das Atomkraftwerk in der Nachbargemeinde Mühleberg. Oder marschierten wir gleichzeitig für den Frieden und gegen die AKW? Ich weiss es nicht mehr genau und wusste es vermutlich auch damals nicht, Anfang der 1980er-Jahre.
Pazifismus war halt gäbig, zu Friedenszeiten. Manche Gewissheiten sind mir abhandengekommen, seither. Und wenngleich ich im Herzen noch immer finde, Gewalt könne nie die richtige Antwort auf Gewalt sein, haben die Ereignisse der letzten Jahre mich erschüttert. Wolf Biermann, den wir doch in jenen Tagen so verehrten, fordert sehr viel mehr militärische Unterstützung für die Ukraine und legt in Interviews dar, dass Pazifismus Grenzen habe. Ob ich es mir ein Leben lang zu einfach machte mit meinem Schönwetterpazifismus? Verflucht kompliziert, alles.
Nur bezüglich Atomwaffenverbot bin ich mir bombensicher. «Wie die meisten europäischen Länder hat die Schweiz sich entschieden, dem Vertrag nicht beizutreten», lässt das Aussendepartement lapidar verlauten. Als hätte Schweizer Politik sich je vom Vorsatz leiten lassen, «wie die meisten europäischen Länder» zu handeln. Wir doch nicht! Wir, die Besonderen, Besonnenen! Ausgerechnet jetzt sollten wir uns nach anderen Ländern richten? Absurd.
Da betonen sie von links bis rechtsaussen stets, die Neutralität sei unser höchstes Gut. Und dann müssen wir die Landesregierung per Volksinitiative ermuntern, ein Atomwaffenverbot zu unterzeichnen? Mich macht fassungslos, dass sie es nicht längst getan hat. Vielleicht, weil Neutralität ein hübscher Begriff ist, um all die dunklen Interessen zu kaschieren? Wir waren Hitlers Waffenschmiede und sind seitdem Hort aller schmutzigen Gelder sämtlicher üblen Potentaten. Die «Neutralität» erlaubt es steinreichen Kleinstkantonen, russische Oligarchen gewähren zu lassen und hiesige Firmen zu schonen, die im globalen Süden Natur und Menschen ausbeuten. Der unerhörte Profit wird in Baar, Switzerland, geschöpft. Ganz sauber, ganz neutral.
Wofür aber soll ein angeblich ach so neutrales Land sich einsetzen, wenn nicht für den Frieden? Atomwaffen können Landstriche auslöschen, Hunderttausende töten und noch mehr Menschen auf Generationen hinaus krank machen. Neun Länder verfügen über insgesamt 12 500 Atomwaffen – weit mehr, als nötig wären, um alle Lebewesen des Planeten zu vernichten. Dass wir nicht nur den Einsatz solcher Waffen verhindern, sondern nur schon deren Herstellung und Besitz verbieten müssen, ist ja klar.
Falls die Neutralität kein schlechter Witz sein soll, muss sie in erster Linie dem Frieden dienen. Ich werde die Initiative unterschreiben. Ein solcher Vertrag ist eine Selbstverständlichkeit. Alles andere kann nicht unser Ernst sein.
Bänz Friedli (59) ist Schweizer Autor und Kabarettist und mit der GSoA verbunden. So hat er 2022 unseren offenen Brief gegen die absurde Armee-Aufrüstung als eine von vielen Schweizer Persönlichkeiten mitunterzeichnet.