Saudi-Arabien ist weltweit mit Abstand der grösste Absatzmarkt für Kriegsmaterial – lange Zeit auch für Schweizer Rüstungsgüter. Seit zwei Jahrzehnten spielt sich im Bundeshaus ein Seilziehen zwischen Bürgerlichen und Linken um den Export von Kriegsmaterial an Saudi-Arabien ab, zwischen den Interessen der Rüstungskonzerne und humanitären Werten. Nach linken Erfolgen droht wieder ein Backlash, wie diese Chronologie zeigt.
2004: Der Bundesrat lehnt eine Motion aus der SP-Fraktion ab, die ein Verbot von Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien fordert.
2006: Der Bund bewilligt Exportgesuche für eine halbe Milliarde Franken an Saudi-Arabien, Pakistan und Indien. Damit setzt er sich über eine Empfehlung der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats hinweg.
2006: Die GSoA lanciert die Volksinitiative für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten.
2008: Der Bundesrat ändert die Kriegsmaterial-Verordnung (KMV) so, dass keine Exportlizenzen mehr möglich wären, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist» oder «das Bestimmungsland Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt».
2009: Der Bundesrat stellt fest, dass die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien keine neuen Exportbewilligungen in das Land zulässt. Lieferungen, die auf bereits erteilten Bewilligungen basieren, werden jedoch nicht gestoppt. Bis heute werden deshalb jedes Jahr konstant Munition und Ersatzteile für Millionen von Franken nach Saudi-Arabien exportiert.
2009: Die Exportsverbots-Initiative der GSoA wird an der Urne abgelehnt. Ein zentrales Argument dabei ist, dass die Schweiz dank der Verordnungsänderungen im Jahr zuvor bereits eine genügend starke Regulierung habe.
2013: Der Nationalrat nimmt äusserst knapp eine bürgerliche Motion an, welche das Menschenrechtskriterium der KMV so schwächt, dass Exportbewilligungen nach Saudi-Arabien wieder ermöglicht werden.
2015: Saudi-Arabien interveniert im Bürgerkrieg in Jemen und begeht zahlreiche Kriegsverbrechen. Aufgrund des Kriteriums der Verwicklung in interne Konflikte in der KMV können keine neuen Exportbewilligungen für Saudi-Arabien mehr ausgestellt werden.
2016: Der Bundesrat ändert die KMV so, dass Exporte wieder ermöglicht werden, wenn ein Land in einen Bürgerkrieg verwickelt ist, der in einem anderen Staatsgebiet stattfindet. Bewilligungen nach Saudi-Arabien sind wieder möglich.
2017: Dreizehn Schweizer Rüstungsbetriebe schreiben dem Bundesrat einen gemeinsamen Brief und fordern vom Bundesrat, die Exportkriterien weiter zu lockern.
2018: Die Eidgenössische Finanzkontrolle hält in einem Bericht fest, dass den Schweizer Bewilligungsbehörden die kritische Distanz zu den Rüstungsfirmen und deren Lobbyisten fehle und dass die Schweizer Industrie Ausfuhrverbote zwar legal, aber mit allerlei Tricks zu umgehen wisse.
2018: Der Bundesrat nimmt die Wünsche der Rüstungsindustrie auf und will die KMV weiter lockern. Nach einem öffentlichen Aufschrei macht der Bundesrat einen Rückzieher.
2018: Die GSoA, SP und Grüne lancieren in einem breiten Bündnis die Korrekturinitiative, welche die ursprünglichen Exportregulierungen der KMV auf Gesetzesstufe heben und damit den Bundesrat entmachten will.
2021: Das Parlament nimmt einen Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative an. Die Bürgerlichen versuchen, eine generelle Ausnahmeklausel einzubauen, welche dem Bundesrat erlaubt hätte, beliebige Exporte zu genehmigen aus «nationalen Sicherheitsinteressen» zu erlauben. Dieser Versuch scheitert jedoch knapp, so dass die Initiative zurückgezogen werden kann. Im Moment werden somit keine neuen Exporte nach Saudi-Arabien bewilligt.2024: Unter dem Deckmantel des Angriffs auf die Ukraine versuchen die Bürgerlichen gleich auf zwei Wegen, neue Bewilligungen nach Saudi-Arabien zu ermöglichen: Einerseits versuchen sie, den oben erwähnten Sicherheits-Blankocheck für den Bundesrat, den sie in den Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative einbauen wollten, erneut einzuführen. In den Medien bestätigten Vertreter*innen der Rüstungsindustrie, dass sie sich dadurch neue Geschäfte mit Saudi-Arabien erhoffen. Es ist gut denkbar, dass wir dagegen das Referendum ergreifen werden müssen.
Ein zweiter Vorstoss ist deutlich perfider: Eine parlamentarische Initiative beabsichtigt, Wiederexporte bereits gelieferter Waffen an die Ukraine zu gestatten. In diese Vorlage haben die Bürgerlichen jedoch mehrere Schlupflöcher eingebaut, welche auch Umgehungsgeschäfte nach Saudi-Arabien ermöglichen würden. Derzeit ist offen, wie sich die verschiedenen Fraktionen im Parlament dazu positionieren werden. Die GSoA wird auf jeden Fall dafür kämpfen, dass der Krieg in der Ukraine nicht missbraucht wird, um Waffenlieferungen an autoritäre Regimes zu vereinfachen.